Dienstag, 14. April 2009

Sahra Wagenknecht

(Sahra Wagenknecht is the “intellectual theorist“ of Germany’s left-wing party Die Linke. She recently published a bestselling book on the financial crisis. As this post quotes heavily from the book, and is anyway mostly “special interest” for German readers, I am posting in German for a change)

Wer hätte das gedacht: Sahra Wagenknecht als Bestsellerautorin. „Wahnsinn mit Methode – Finanzcrash und Weltwirtschaft“ heißt das Buch, und ist vor ein paar Monaten und damit genau zur richtigen Zeit erschienen.

Wahrscheinlich hat man sich zum Schluß ein bisschen sehr beeilt, das würde ein paar bizarre Fehler erklären (so z.B. die Behauptung auf S. 43, General Motors Bonds hätten ein AAA-Rating; oder S. 182: ein Anstieg des Yen um ca. 1 % koste Toyota „35 Milliarden“). Aber wenn man von solchen Kleinigkeiten absieht, muß man sagen, die wesentlichen Fakten zur Finanzkrise sind alles in allem durchaus korrekt beschrieben.

Gegen Ende des Buches, wenn's ans Schlussfolgern geht, stehen einem dann aber doch die Haare zu Berge.

Zunächst wird dargelegt, daß die Superreichen immer reicher werden, und alle anderen immer ärmer. Da die Reichen nicht so recht wissen, wohin mit dem Geld, und den größten Teil davon sparen, fehlt es irgendwann an Nachfrage, weil es einfach nicht genug attraktive Investitionsmöglichkeiten gibt. Also übersteigt das Angebot die Nachfrage, und die Wirtschaft ist in der Krise. Das kennen wir ja schon von Marx. Und es ist durchaus vereinbar mit ökonomischen Ansätzen im Sinne einer Liquiditätsfälle bzw. dem neumodischeren „Savings Glut“.

Nur komisch: Die hochgeschätzte Sahra ist trotz dieser inzwischen ja eingetretenen Krise weiterhin der festen Überzeugung, daß die Reichen immer reicher werden. Ist ihr denn nicht aufgefallen, daß die Krise vor allem die Reichen trifft? Entwertete Aktienportfolios und Luxusimmobilien, geleveragte Unternehmen, die ihre Schuldenberge nicht mehr bedienen können, Banker die keine Boni mehr bekommen – es ist doch nicht die Mittel- und Unterschicht, der gerade das Vermögen wegbricht.

Da wird munter mit den historisch immer weiter steigenden Aktienkursen argumentiert, an denen nur die Reichen wirklich partizipieren konnten. Daß es sich auf Sicht der letzten 10-20 Jahre aber überhaupt nicht rentiert hat, in Aktien zu investieren, weil die Aktien in letzter Zeit so stark gefallen sind – wen interessiert das schon, passt ja nicht ins Konzept.

Und was will Sahra gegen die Malaise unternehmen?

Nötig ist, „daß die politischen und gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse so weit nach links verschoben werden, dass die Überwindung des Kapitalismus von einem programmatischen Fernziel zur politischen Tagesaufgabe werden kann.“

Klar. Aber was haben wir denn nun zu erwarten, wenn das passiert ist?

Da wäre zunächst „die demokratisch kontrollierte Entwertung der Vermögen … in einer Form, die die oberen Zehntausend trifft. … Würden Finanzvermögen von mehr als 1 Mio. € abgeschöpft, wären die Schulden der Staaten auf einen Schlag getilgt, und öffentlicher Aktienbesitz und Einflussrechte könnten in wesentlichen Bereichen der Wirtschaft hergestellt werden.“

Alles klar: Niemand darf mehr als 1 Mio. € besitzen.

Wichtig ist ferner „eine Wirtschaftsordnung, in der nicht die Maximierung der Kapitalrendite, sondern demokratisch gesetzte Maßstäbe über Investitionen, Arbeitsplätze, Forschung und Wachstum entscheiden … sie wäre nicht nur sozial gerechter, sie könnte auch ungleich reicher, produktiver und umweltbewusster sein.“

Ach so! Politiker sollen also in Zukunft über Investitionen, Arbeitsplätze, Forschung und Wachstum entscheiden. Weil Politiker das ja so gut können. Und ganz nebenbei wird die Gesellschaft dadurch nicht nur gerechter, sondern auch reicher und produktiver.

Vermutlich ahnt die liebe Sahra die Skepsis des Lesers, den sie ergänzt sicherheitshalber:

„Der Umstand, daß es eine solche Ordnung bisher nicht gegeben hat, spricht nicht gegen ihre Möglichkeit. In der Geschichte entsteht immer Neues.“

Und völlig staatswirtschaftlich soll es doch nicht werden:

„Die Überwindung des Kapitalismus bedeutet nicht die Abschaffung von privatem Produktiveigentum, sondern dessen Beschränkung … der Stachel von Eigeninteresse und Gewinn kann durchaus Innovation und technologischen Fortschritt fördern.“

Allzu viele Refugien für „privates Produktiveigentum“ bleiben aber wohl nicht übrig, denn:

„Banken, Versicherungen, Schlüsselindustrien und viele Dienstleistungen … etablierte Großkonzerne mit globalem Handlungsradius … Energie, Wasser und Mobilität, oder Wohnen, Gesundheit und Bildung“ – alles das hat gefälligst staatlich zu sein.

Da wären zum Beispiel die Banken: Sie sollen gefälligst gemeinwohlorientiert sein, und nicht renditefixiert.

Hmmm. Gab’s da nicht mal eine kleine überschaubare Bankengruppe, die sich Sparkassen nannte, und die sich genau das auf die Fahnen geschrieben hat? Wenn die so überlegen wirtschaften, dann verdrängen sie ihre privaten Konkurrenten doch irgendwann automatisch, oder? Und außerdem: Gab’s da nicht auch mal sogenannte Landesbanken, ebenfalls in Staatseigentum, und im Dienste der regionalen Wirtschaft?

Stimmt, die hat Sahra natürlich nicht vergessen, und sie lässt uns wissen: Das Unheil nahm bei den Landesbanken erst seinen Lauf, als diese „kommerzialisiert und auf Rendite getrimmt“ wurden. Richtig: Bayern LB, HSH Nordbank, West LB und so weiter haben also nur deshalb gigantische Verluste gemacht, weil sie Gewinne erzielen wollten. Hätte man keine Gewinne erzielen wollen, wäre es nicht zu Verlusten gekommen.

Nein, bei gemeinwohlorientierten Banken kann das nicht passieren. Da sitzen dann erleuchtete Politiker im Aufsichtsrat, die Kreditentscheidungen im Interesse des Gemeinwohls treffen, und denen Geld geben, die es brauchen, um damit das Gemeinwohl zu maximieren. Halt irgendwie so wie bei den Landesbanken, nur eben mit fähigeren Politikern. Vermutlich entsandt von Die Linke.

Und warum sollen wir nicht nur die Banken verstaatlichen, sondern so ziemlich alles, was größer ist als eine Pizzeria oder ein Friseursalon?

Ganz einfach, weil die Kapitalistenklasse mit uns allen ein „bizarres Spiel“ spielt, und dabei „Lohndrückerei, Steuerdumping, Entlassungen und Betriebsschliessungen, reduzierte Investitionen und minimierte Forschung, bis hin zur … militärischen Erpressung ganzer Länder, zu Aggressionskriegen und Besatzerregimen im internationalen Maßstab“ anwendet. „Ergebnisse sind schleppende Produktivitätsentwicklung, sinkende Lebensqualität, … zerstörte wirtschaftliche Kapazitäten … und zunehmende Armut. … Der heutige Finanzkapitalismus hat die kreative und produktive Zerstörung im Schumpeterschen Sinn endgültig durch die Zerstörung von Kreativität, Produktivität und Wohlstand ersetzt.“

Abgesehen von sozialer Ungerechtigkeit ist der Kapitalismus also an allen diesen Dingen Schuld? Ja klar! Die verringerte bzw. zerstörte Produktivität hängt mit M&A und Aktienrückkäufen zusammen, die Geld vergeuden (S. 219). Aus dem gleichen Grund werden auch Kapazitäten nicht erweitert, und Forschung und Entwicklung gestrichen (S. 220). Nur das mit den deutschen Aggressionskriegen habe ich nicht so ganz verstanden. Vielleicht meint Sahra den gewaltsamen Anschluß des ostdeutschen Bruderlandes, bei dem ja nur deshalb keine Schüsse fielen, weil unsere friedliebenden sozialistischen Brüder insgeheim bereits wussten, daß die Wiedervereinigung nötig war, um ihrem sozialistischen Gedankengut auch in Gesamtdeutschland zum Durchbruch zu verhelfen.

Wenn das alles so ist, dann ist natürlich klar, daß wir ein umfassendes Verstaatlichungsprogramm brauchen. Der Staat wird dann durch erleuchtete Politiker und überragende Planungs- und Allokationsfähigkeiten dafür sorgen, daß die Kapazitäten wachsen, die Produktivität neue Höhen erreicht, Innovation und Kreativität blühen, und Kapitalisten endlich keine Kriege mehr vom Zaun brechen.

Und was passiert, wenn wir Der Linken nicht auf diesem Weg folgen?

Dann mögen wir doch bitte bedenken: Die letzte große Wirtschaftskrise „brachte in Europe brutale faschistische Diktaturen an die Macht … und führte zu einem mörderischen Weltkrieg.“

Wichtig ist deshalb, „mit aller Kraft denen zu widerstehen, die auch hundert Jahre später zu der gleichen Unterdrückung und den gleichen Verbrechen fähig wären, wenn nur das noch Profit verspricht.“

Ach so war das damals! Hitler hat den 2. Weltkrieg vom Zaun gebrochen, um mehr Profite zu erzielen! Er war also eine Art großkapitalistischer Antichrist. Und der heutige Großkapitalismus wartet nur auf die Gelegenheit, die Krise dahingehend zu nutzen, um endlich Hitlers Verbrechen zu wiederholen.

Ist klar, oder? Völker, hört die Signale! Auf zum Die Linke wählen!

(Es ist mir ein Rätsel, warum diese offensichtlich intelligente Frau eine derart wirre Revolutionsrhetorik anschlägt. Viele der Kritikpunkte am „Finanzkapitalismus“ sind ja durchaus berechtigt. Und auch über als zu groß empfundene soziale Ungerechtigkeit und mehr staatlich initiierte Umverteilung kann man diskutieren. Aber welcher halbwegs unvereingenommene Mensch mit ein bisschen Lebenserfahrung und Kenntnis der jüngeren Geschichte glaubt denn ernsthaft, daß die umfassende politische Steuerung einer weitgehend verstaatlichten Wirtschaft nicht nur zu mehr Gleichheit, sondern auch zu mehr Produktivität, Innovation und Wohlstand führt?)

5 Kommentare:

  1. Die Politiker lenken die Landesbanken durchaus ultraweise. Sie "comitten" sich sogar so stark, dass sie sich mit eigenem Geld engagieren: Georg Milbradt hat über 100TEuro in einen Fonds investiert, für den er selbst die Kredite freigegeben hat. Ist doch toll, wie die demokratische Lenkung die Produktivität erhöht.

    http://verlorenegeneration.wordpress.com/2009/02/28/jedem-politiker-seine-landesbank-update-28022009/

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  2. Staatliche Kontrolle aller wesentlichen Firmen - das klingt doch eigentlich wie in China, oder?

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  3. @ketzerisch:

    So soll es sein! Ist doch viel effizienter, als wenn man erst externe Investoren suchen muß, denen man alles erst im Detail erklären muß!

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  4. @Ich:

    Irgendwie schon. Wobei im Buch die chinesische Wirtschaft nicht erwähnt wird - weder als Vorbild, noch als abschreckendes Beispiel. Schade eigentlich, da hätte sich sicher einiges (im guten wie im schlechten) an Lektionen daraus ableiten lassen.

    Auch Lafontaines großes Idol Hugo Chavez kommt nicht vor. Obwohl er doch ebenfalls im großen Stil Privateigentum in Volksvermögen überführt hat.

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  5. Sag bloß, Du hast 20 Euro für das Machwerk hingeblättert...?

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